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Diese Woche: Beim Einsatz in Filippiada und Ioannina

Auf den Fluchtrouten in Griechenland - Ehrenamtlicher Einsatz unserer Mitstreiterin - April 2024 / Wochenbericht Nr. 5

Unsere Mitstreiterin, Andrea, Ärztin, ist seit Anfang März für 6 Wochen mit German Doctors im Norden Griechenlands. Im Rahmen ihres ehrenamtlichen Einsatzes versorgt sie auf den Fluchtrouten im Landesinneren geflüchtete Menschen medizinisch, mit besonderem Augenmerk auch auf unbegleitete Minderjährige.

Hier der aktuelle Wochenbericht Nr. 5

Liebe alle, 

Die letzte Woche war medizinisch sehr abwechslungsreich. Auf der -für mich bereits letzten- Tour in die Berge in Filippiada und Ioannina war sogar meine neurologische und nervenärztliche Expertise einmal ganz hilfreich. Einige der Menschen möchte ich euch heute kurz vorstellen: 

Zum einen habe ich Mishaal kennengelernt, eine 33jährige allein reisende Mutter aus Afghanistan mit ihren zwei 10 und 11 Jahre alten Kindern. Sie stellte sich in Filippiada mit Appetitmangel und Schmerzen des ganzen Körpers vor. Auf meine Nachfragen zur Anamnese brach sie bald in Tränen aus und erklärte, dass sie mit der Ungewissheit über ihren Aufenthaltsstatus nicht zurecht käme. Sie seien jetzt 5 Wochen im Camp und wüssten überhaupt nicht, wie es um ihr Asylverfahren steht. Sie hat kein Geld (was man den Sachen der Kinder auch ansah - alle anderen waren zum Zuckerfest so gut es ging chic gemacht), könne aus dem bereitgestellten Essen im Camp kaum etwas Vollwertiges kochen. Das Camp liegt so isoliert, dass man wirklich nicht viel Ablenkung hat und für mich nachvollziehbar ist, dass einem bei der ganzen Grübelei die „Decke auf den Kopf fällt“. Wir finden weitere Symptome einer Depression und ich kann mir Zeit nehmen, um die Frau und die Kinder ein bisschen zu beraten. Psychopharmaka können (und dürfen) wir hier nicht zur Verfügung stellen und ein Psychologe ist nur zeitweise anwesend. Ich kann dafür wenigstens einen Termin ausmachen und sehe am Ende sogar etwas wie ein Lächeln in Mishaals Gesicht. 

In Nea Kavala untersuchen wir erneut Selah, einen Patienten mit einer Epilepsie. Wir hatten ihn zuvor bereits wegen einer Erkältung gesehen und er hatte berichtet, General in Afghanistan gewesen zu sein. Jetzt übersetzt der Dolmetscher, er sei Pilot im Irak gewesen. Wie auch immer, vor mir sitzt ein Mensch, der deutlich gealtert und verzweifelt wirkt: In der Untersuchung sehen wir riesige Narben am Bauch und an den Beinen. Er berichtet von Folter; u.a. habe man ihn gezwungen Säure zu trinken, daher später am Magen operieren müssen. Die Narben am den Beinen stammen von Messerstichen. Aber das Schlimmste sei, berichtet er unter Tränen, dass man seine Frau und seine Kinder ermordet habe. Er zeigt mir die Fotos der Frau und der noch kleinen Kinder und ich muss selber mit den Tränen kämpfen, kann ihm nur sagen, wie leid es mir tut. Auf dem Foto, was ihn zeigt, erkenne ich ihn nicht wieder! Mit einiger Mühe können wir zumindest seine Medikamente für die Epilepsie besorgen (die Diagnose spricht dafür, dass er auch schwere Kopfverletzungen erlitten hatte). Zum Abschied lässt er meine Hand kaum wieder los. 

Und dann haben wir Abudin gesehen, einen 48jährigen Mann aus Afghanistan, der nach einer Ohnmacht bei der Arbeit am Vortag ins Krankenhaus gekommen war. Dieses hat er ohne jede Untersuchung wieder verlassen, da er wahrscheinlich die Erläuterungen nicht verstanden hat, unsicher war über seinen Versicherungsstatus und Angst hatte vor hohen Kosten. Ich finde neurologische Ausfälle in der Untersuchung und bestehe auf einer dringenden erneuten Krankenhauseinweisung bei Schlaganfallverdacht. Zur besseren Verständigung schreibe ich eine ausführliche englische Übergabe an die Kollegen, da sich der Patient nicht verständlich machen können wird. Am Folgetag bringt die Ehefrau einen ebenfalls englischen Antwortbrief an uns und bittet um Erklärung. Es wurde ein Hirntumor festgestellt, der zeitnah operiert werden soll. Ich erläutere mit Hilfe unseres Übersetzers der Ehefrau die Diagnose und das übliche Vorgehen. Eine vernünftige OP-Aufklärung sieht zwar anders aus, aber so bekommen die Eheleute wenigstens erste Informationen durch uns. Immer wieder das Sprachproblem …!

Positive Nachrichten gibt es vom kleinen Maher (ich hatte nach Woche 3 berichtet): Ich habe ihn nachuntersucht und er macht einen viel kräftigeren und muntereren Eindruck. Seine Atmung war ruhiger und der ganze kleine Kerl neugieriger. Die spezielle Milch ist für die nächsten Wochen organisiert und ich war erleichtert, dass es aufwärts geht für den Kleinen. Da haben wir alle zusammen gute Arbeit geleistet!!! 

Zum Schluss der ereignisreichen Woche hatte unser Auto auf der Rückfahrt nach Thessaloniki noch einen Platten…, zum Glück konnte der Auto-Doktor uns schnell helfen. 

Ganz liebe Grüße aus dem heißen Thessaloniki in die Heimat

Andrea

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