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Als Seebrücke Erfurt setzen wir uns ein für sichere Fluchtwege und sichere Häfen, für ein Ende der tödlichen Abschottungspolitik Europas und für Bewegunsfreiheit für alle Menschen. Wir wollen ein offenes und solidarisches Erfurt und ebensolch eine Gesellschaft! Das erledigt sich nicht von selbst.
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Jeden Dienstagabend treffen wir uns zum Plenum. Dort tauschen wir uns aus, planen Demonstrationen und viele andere Aktionen. Du hast Interesse und Lust auf Mitmachen? Schreib uns am liebsten per E-Mail oder auf Instagram.
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Du kannst uns auf unseren Social Media Kanälen folgen. Oldschool haben wir außerdem einen Mailverteiler, auf dem wir unregelmäßig über aktuelle Themen und anstehende Aktionen informieren. Schreib uns eine Mail, wenn du auf den Verteiler möchtest.
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Aktuelles:Was steht an?
Hier findet ihr aktuelle und vergangene Aktionen und Kampagnen von uns:
Soli-Tauschaktion gegen die diskriminierende Bezahlkarte:Abolish Bezahlkarte!
Wir rufen dazu auf, bei unserer solidarischen Tauschaktion gegen die rassistische Bezahlkarte mitzumachen. In unseren lieben Erfurter "Wechselstuben" in Erfurt und Jena könnt ihr ab sofort euer Bargeld gegen Supermarkt-Gutscheine eintauschen. So könnt ihr Menschen unterstützen, die dann statt der einschränkenden Bezahlkarte Bargeld nutzen können.
Die Bezahlkarte für Menschen, die Leistungen nach dem sogenannten Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, wird in immer mehr Thüringer Landkreisen eingeführt. Die betroffenen Menschen erhalten in der Regel nur 50 Euro im Monat bar. Der (viel zu geringe) Restbetrag verbleibt auf der Karte. Mit der Bezahlkarte können weder das Deutschlandticket noch Rechtsanwält*innen bezahlt werden, man kann mit ihr nicht in kleinen Geschäften, Secondhand-Läden, auf Märkten, in Online-Shops usw. einkaufen. Die Bezahlkarte schränkt geflüchtete Menschen also massiv ein, schließt sie von gesellschaftlicher Teilhabe aus und entmündigt sie. Mit der Bezahlkarte werden Menschen ihres Rechts beraubt, selbstbestimmt und frei über ihr Geld zu verfügen.
Gemeinsam solidarisch gegen die rassistische Praxis der Bezahlkarte! Tausche dein Bargeld gegen einen Supermarktgutschein!
Um gegen diese Diskriminierung zu protestieren, das System zu unterwandern, unsere betroffenen Freund*innen zu unterstützen und diese Ungerechtigkeit schnellstmöglich abzuschaffen, laden wir euch zur Soli-Tauschaktion ein:
In den Wechselstuben könnt ihr euer Bargeld gegen Supermarkt-Gutscheine (in der Regel im Wert von 50 Euro) von REWE, ALDI, LIDL & Co. tauschen und damit eure Einkäufe bestreiten. Die Supermarkt-Gutscheine haben Menschen aus den betroffenen Thüringer Landkreisen mit ihrer Bezahlkarte gekauft. Das durch die Tauschaktion ertauschte Bargeld können sie dann selbstbestimmt nutzen - im Gegensatz zu dem Guthaben auf der Bezahlkarte.
Wechselstuben in Erfurt:
Universal Drogerie
Webergasse 25, 99084 Erfurt
Montag, Donnerstag, Sonntag von 10:00 bis 18:00 Uhr
Freitag und Samstag von 10:00 bis 22:00 Uhr
Nilo’s Cafe
Kreuzgasse 3, 99084 Erfurt
Montag bis Freitag von 8:30 bis 20:00 Uhr
Samstag und Sonntag von 9:00 bis 20:00 Uhr
Wechselstuben in Jena:
CT-Spätis Süd und Ost
Westbahnhofstraße 4, 07745 Jena und Karl-Liebknecht-Straße 12, 07749 Jena
Montag bis Samstag von 13:00 bis 0:00 Uhr
Sonntag von 11:00 bis 22:30 Uhr
Es wird auch in Zukunft immer mal Events von und mit der Seebrücke Erfurt geben, bei denen ihr tauschen könnt. Infos auf unseren Kanälen oder auf Nachfrage per Mail.
Kommt vorbei, tauscht und sagt es weiter! Gemeinsam solidarisch gegen die rassistische Praxis der Bezahlkarte!
Jede Abschiebung ist ein Verbrechen - sie zu verhindern nicht!:Abschiebeblockade Arnstadt
Bericht von Prozess und Kundgebung "Jede Abschiebung ist ein Verbrechen - sie zu verhindern nicht!" am 9. August 2024 in Arnstadt - Aufruf zu anhaltender Solidarität
Am 9. August 2024 verteidigte sich ein*e Aktivist*in im Amtsgericht Arnstadt gegen ein saftiges, aufgrund einer Abschiebeblockade verhängtes Bußgeld - erfolgreich! Das Verfahren endete mit einem Freispruch.
Der Person wurde als eine*r von sechzig Antirassist*innen vorgeworfen, bei der Blockade eines nächtlichen Abschiebeversuchs am 1. Juni 2023 gegen das Versammlungsgesetz verstoßen zu haben: Die Aktivist*innen seien nicht weggegangen, als die Polizei, die in dieser Nacht einen Menschen aus seinem Zuhause abschieben wollte, sie dazu aufforderte.
Über 50 solidarische Menschen begleiteten am Freitag den Prozess drinnen im Gericht und draußen mit einer lautstarken, fröhlichen und kraftvollen Soli-Kundgebung. Ein übertriebenes Polizeiaufgebot begleitete die Kundgebungsteilnehmer*innen bereits ab dem Erfurter Hauptbahnhof bis zum Gericht in Arnstadt. Weiter ging es mit absurd "gründlichen" Sicherheitsauflagen und Kontrollen im Gericht.
Im Saal eröffnete der*die Aktivist*in mit einer Prozesserklärung und stellte klar:
"Jede Abschiebung ist ein Verbrechen - sie zu verhindern nicht [...] Sich der Abschiebung eines Menschen laut oder leise entgegen zu stellen, kann und darf nicht falsch sein. Wenn ein Mensch seinem Zuhause entrissen werden soll, sollte der Protest dagegen vielmehr unser aller Pflicht sein. Mir liegt also fern, das Bußgeld für einen solchen Vorwurf einfach stillschweigend anzunehmen."
Auch vor dem Gericht führten Menschen in Redebeiträgen die Kritik an der Festung Europa und ihrem Abschottungs- und Abschieberegime aus:
"Die EU-Staaten kriminalisieren und schikanieren zivile Seenotretter*innen fortwährend, Polizei und Frontex drängen Migrant*innen an den Außengrenzen durch illegale Pushbacks zurück, in Lagern an den EU-Außengrenzen herrschen menschenunwürdige Bedingungen. Die bereits beschlossene Reform des europäischen Asylsystems GEAS wird all das noch schlimmer machen. [...] Europa, Bund und Länder überbieten sich in einem beängstigenden Eifer damit, immer repressivere Bedingungen für Menschen auf der Flucht zu schaffen – mehr abzuschotten, mehr zu entrechten, mehr abzuschieben."
Die*der Aktivist*in und deren Verteidiger befragten die Zeugen von Polizei und Ausländerbehörde. Durch deren Aussagen bestätigte sich, dass die Räumung der versammelten Aktivist*innen noch durchgesetzt wurde, obwohl der Abschiebeflug längst abgeblasen war. In einem im Gerichtssaal abgespielten Video der Polizei hört man den Einsatzleiter rufen, die Aktivist*innen hätten die Abschiebung "erfolgreich torpediert". Offen blieb, ob - und wenn ja, warum - Einsatzkräfte nach der Räumung dennoch versuchten, die Wohnungstür aufzubrechen. Laut Richter war das auf einzelnen Videos zu sehen, die Zeugen konnten sich nicht mehr erinnern.
Durch kritische Fragen an die Mitarbeiter der Ausländerbehörde kam zutage, dass bei vorherigen Abschiebeversuchen gegen die Familie ein Mensch aus dem Fenster sprang, um sich zu retten und sich dabei stark verletzte. Das Politische wollte der Richter zwar aus dem Gerichtssaal fernhalten, doch selbst er habe die "Augenbrauen hochgezogen", als er hörte, dass der Mensch, der im Juni 2023 abgeschoben werden sollte, nach alldem inzwischen anerkannten Flüchtlingsschutz in Deutschland hat. Trotz der vor Augen geführten Ungerechtigkeit des Abschiebesystems pochte der Richter darauf, dass Ausländerbehörde und Polizei lediglich geltendes Recht durchsetzten.
Schließlich kam der Richter zu seinem Urteil: Freispruch. Seine Begründung: Das Bußgeld fuße auf dem Vorwurf, die Aktivist*innen hätten trotz Aufforderung der Polizei ihren Versammlungsort vor dem Haus nicht verlassen. Ein Teil der Gruppe habe dies jedoch getan - und zogen in das Haus um, wo sie das Treppenhaus blockierten. Dort seien sie keine Versammlung unter freiem Himmel mehr gewesen und somit hätten diese Menschen sich rechtlich gesehen der Aufforderung der Polizei nicht widersetzt. Da der Richter die beschuldigte Person auf den Videoaufnahmen der Polizei nicht vor dem Haus identifizieren konnte, sprach er die*den Aktivist*in frei. Gut so!
Die Verteidigung stellte in ihrem Plädoyer klar: Die Polizei verletzte das Grundrecht der Aktivist*innen auf Versammlungsfreiheit und handelte rechtswidrig, indem sie die Versammlung unverhältnismäßiger Weise auflöste, obwohl die Abschiebung bereits abgesagt war. Der Richter sah zwar die Blockade auch als politische Versammlung an - so skandierten die Demonstrierenden laut "No border, no nation - stop deportation!" und hätten "Solidarisierungseffekte" erreichen wollen. Polizist:innen wurden aufgefordert, den Dienst zu verweigern. Dennoch hielt der Richter die Auflösung der Versammlung vor dem Haus für legitim. Er sah eine "Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" und verwies auf in ihrer Ruhe gestörte Nachbar*innen und (ironischerweise) auf die Freihaltung von Fluchtwegen. Nach dieser Argumentation kann kein Freispruch für alle noch zukünftig von Verfahren betroffenen Aktivist*innen erwartet werden. Immer noch droht zahlreichen Menschen Repression durch das angedrohte Bußgeld.
Der Richter betonte sein mangelndes Verständnis für "zivilen Ungehorsam und Selbstjustiz". Wir hingegen haben größtes Verständnis und schließen uns den Worten des*der beschuldigten Aktivist*in an:
"Ich bin dankbar für die Menschen, die in der Nacht des 1. Juni 2023 da waren, um einem Menschen in einer akuten Notlage beizustehen und gegen Unrecht zu protestieren – und letztendlich sogar tatsächlich eine Abschiebung verhindern konnten. Ich hoffe, dass Menschen darin bestärkt werden, sich Rassismus, Unrecht, Abschiebung entschlossen entgegenzustellen, dass sie gerade in diesen Zeiten den Mut fassen, ihre Nachbar*innen, Freund*innen und Kolleg*innen nicht allein zu lassen, sollten mal Polizei und Ausländerbehörde an ihre Tür hämmern und sie mitnehmen wollen."
Dutzenden weiteren Menschen droht ein Bußgeld in der Höhe von 228,50 €. Auch wenn der Richter wiederholt betonte, dass er niemanden als "Verbrecher" behandele, werden hier zahlreiche Menschen mit Bußgeldern von insgesamt über 13.000 € überzogen und so für ihre praktische Solidarität sanktioniert. Doch wir sagen: Da gibt es nichts zu büßen. Wir stehen hinter den betroffenen Aktivist*innen - egal, ob sie vor, hinter oder im Haus solidarisch waren, um sich einer Abschiebung entgegenzustellen! Denn: Jede Abschiebung ist ein Verbrechen - sie zu verhindern nicht.
Weitere Menschen werden sich noch vor Gericht gegen die Repression wehren müssen. Lassen wir sie nicht alleine. Also bleibt aufmerksam! Termine folgen.
Wir haben gesehen: Wir können Abschiebungen verhindern! Politische Prozessführung lohnt sich! Gelebte Solidarität ist der Hammer! We stick together - gegen Abschiebung und Repression!
Unterstützt Initiativen wie das Netzwerk Soli-Asyl Thüringen und die Rote Hilfe. Stop Deportation! Fight Repression!
Ein Lager ist kein Zuhause, ein Lager ist kein sicherer Ort!:Lagerunterbringung
Hermsdorf
In einer Lagerhalle im thüringischen Hermsdorf sind im Winter 2023 über 600 geflüchtete Menschen untergebracht. Die Halle soll eine "Übergangslösung" sein, doch viele Menschen sitzen dort seit Monaten fest. Im November gingen einige Bewohner des Lagers in Hungerstreik, um gegen die unzumutbaren Bedingungen in dem Lager und für eine bessere Unterbrinung zu protestieren.
Die Zustände: Geschlafen wird in der riesigen Halle in allein durch Bauzäune abgetrennten "Schlafabteilen". Trotz kalter Jahreszeit sind viele nicht mit warmer Kleidung oder Schuhen versorgt. Es gibt miserables und zu wenig, teils verdorbenes Essen sowie unzureichenden Zugang zu Ärzt*innen und Medikamenten - und das, obwohl Menschen unter diesen Bedingungen logischerweise geschwächt sind und sich ansteckende Krankheiten leicht verbreiten können. Menschen fehlt Zugang zu Deutschkursen und rechtlicher Beratung, sie leben im Lager enorm isoliert von der Außenwelt. All das bedeutet eine enorme Belastung und Tortur für die Betroffenen.
Wir wollen auf die Situation aufmerksam machen und die Stimmen der Betroffenen verstärken. Gemeinsam mit der Aktivistin und Freundin Sultana Sediqi, dem Filmprojekt don't stop motion und der Seebrücke Jena veröffentlichen wir im Dezember 2023 täglich mit einem "Adventskalender" täglich Videos, Fotos und Zitate von Betroffenen über die Zustände im Lager in Hermsdorf - um die gewollte Isolation zu durchbrechen. #behindcloseddoors #hinterverschlossenentüren
Ihr findet den Kalender auf unseren Social Media Kanälen und auf behindcloseddoors.blackblogs.org
Unterstützt die Forderungen der Betroffenen, hinzusehen und diese unzumutbare Situation zu beenden. Und wichtig, nicht zu vergessen: Hermsdorf ist kein Einzelfall, überall in Deutschland leben schutzsuchende Menschen in Erstaufnahmelagern und Sammelunterkünften. Wir fordern menschenwürdige Unterbringung - und wissen, dass das möglich ist. Gegen das rassistische Lagersystem!
( ENGLISH BELOW )
"Ein Lager ist kein Zuhause, ein Lager ist kein sicherer Ort!"
Ausführliche Stellungnahme zum Brand in der Geflüchtetenunterkunft in Apolda am Sonntag, den 4.6.2023 und der darauffolgenden Evakuierung und Unterbringung der Betroffenen
Wir veröffentlichen den Text im Namen der Vernetzung von Menschen in Solidarität mit den Betroffenen vom tödlichen Brand in Apolda. Die Stellungnahme (Hier als PDF) basiert auf unserem Informationsstand vom Mittwoch, den 7.6.2023 gegen 12 Uhr, wir haben sie also noch vor der Rückkehr der ersten Bewohner*innen aus Hermsdorf zurück nach Apolda verfasst.
Wir wünschen uns, dass die von uns im Kontakt mit vielen Bewohner*innen und mit Einsatzkräften und Helfer*innen recherchierten Informationen beim Sprechen über die Geschehnisse und in der Aufarbeitung berücksichtigt werden.
Auf unserer gemeinsamen Kundgebung gestern in Erfurt versammelten sich etwa 150 Menschen und gedachten des Gestorbenen. Es wurde Wut rausgelassen und Forderungen, u.a. nach Aufarbeitung, nach menschenwürdigem Wohnen für alle und Anerkennung von migrantischem Leben geteilt. Auch wurden Nachrichten von Betroffenen des Brandes verlesen. Gleichzeitig trafen sich Menschen in Hermsdorf und Apolda, um über einen Livestream an der Kundgebung teilzunehmen.
Wir fordern offene Grenzen, sichere Einreisewege, Aufenthalt, Bewegungsfreiheit, Teilhabe und Gerechtigkeit für alle!
Wir werden weiter gemeinsam für diese Ziele kämpfen. Wir belassen es nicht bei Forderungen, sondern nehmen die Dinge selbst in die Hand, radikal solidarisch mit allen Menschen, die unter dem rassistischen Asylsystem zu leiden haben.
#apolda #hermsdorf #erfurt #nolagernowhere #shutdownallcamps
ENGLISH
"A camp is not a home, a camp is not a safe place!"
Detailed statement on the fire in the refugee shelter in Apolda on Sunday, 4.6.2023 and the subsequent evacuation and accommodation of those affected.
We publish the text on behalf of the networking of people in solidarity with those affected by the deadly fire in Apolda. The statement (read as PDF here) is based on our information status of Wednesday, 7.6.2023 around 12 o'clock, so we have written it before the return of the first residents from Hermsdorf back to Apolda.
We hope that the information we have researched in contact with many residents and with emergency forces and helpers will be taken into account when talking about the events and in the reappraisal.
At our joint rally yesterday in Erfurt, about 150 people gathered and commemorated the deceased. Anger was let out and demands were shared, including for reappraisal, for decent housing for all and recognition of migrant life. Messages from people affected by the fire were also read out. At the same time, people met in Hermsdorf and Apolda to participate in the rally via livestream.
We demand open borders, safe entry routes, residence, freedom of movement, participation and justice for all!
We will continue to fight together for these goals. We don't leave it at demands, but take things into our own hands, in radical solidarity with all people who suffer under the racist asylum system.
#apolda #hermsdorf #erfurt #nolagernowhere #shutdownallcamps
Orte der Abschottung:Wegweiser
Im Rahmen einer bundesweiten "Places of Isolation" Aktion der Seebrücke haben wir in der Woche vom 17. bis 24. April 2023 an verschiedenen belebten Orten in Erfurt Wegweiser aufgestellt. Die Pfeile der Wegweiser zeigen die Entfernungen zu Orten, an denen sich die Abschottungspolitik Europas in unserer unmittelbaren Nähe niederschlägt.
Zum Beispiel zeigen die Wegweiser auf die Erfurter Ausländerbehörde oder das Erstaufnahmelager in Suhl. Einige Pfeile zeigen auch auf weiter entfernte Orte an den EU-Außengrenzen, die bekannte Symbole für die Abschottung Europas sind, so wie das Mittelmeer, die tödlichste "Grenze" der Welt.
Über Flyer und einen angebrachten QR-Code am Wegweiser können sich Interessierte auf unserer Website zu jedem "Ort der Abschottung", auf den ein Pfeil zeigt, weiter informieren.
Wir wollen eine Verbindung schaffen zwischen dem, was hier in Erfurt passiert und der Realität an den europäischen Außengrenzen, die viele Menschen nur aus den Medien kennen. Wir möchten zeigen, dass uns alle die systematische Gewalt und Abschottung gegen Menschen an den EU-Außengrenzen etwas angeht. Das Thema Flucht bekommt durch die Wegweiser im Erfurter Stadtbild Aufmerksamkeit und erreicht auch Menschen, die sich sonst nicht damit beschäftigen.
Wir haben insgesamt acht Wegweiser vor Erfurter Cafés und Kulturräumen aufgestellt. Aktuell (Stand 20.05.2023) stehen sie:
am Kulturbahnhof Zughafen
am Café Hilgenfeld auf dem Campus der Universität Erfurt
an der Frau Korte
an der KreativTankstelle
im Charlotte-Eisenblätter-Haus der Naturfreundejugend Thüringen
Auf diese Orte der Abschottung weisen die Pfeile:
Laut UNO Flüchtlingshilfe Deutschland liegt im Mittelmeer die tödlichste Seeroute der Welt. Doch für viele Menschen ist dieser Fluchtweg der einzige Ausweg: In ihren Heimatländern herrscht Krieg, sie werden dort diskriminiert oder verfolgt, sind betroffen von Hunger, Armut oder Naturkatastrophen. Weil Menschen keine Perspektive für sich und ihre Familie mehr haben, suchen sie woanders nach Schutz und einem sicheren Leben. Von den nördlichen Küsten Afrikas und der Türkei aus versuchen jedes Jahr tausende Menschen Europa über das Mittelmeer zu erreichen - oft in seeuntauglichen und überfüllten Booten.
Im Jahr 2022 verloren 2.406 Menschen auf der Überfahrt ihr Leben oder gelten als vermisst (Quelle: Missing Migrants Project). Die Dunkelziffer ist deutlich höher. Seit 2019 findet keine staatliche Seenotrettung seitens der EU mehr statt. Diese wichtige Aufgabe übernehmen private Such- und Rettungsorganisationen wie Sea Watch, Mission Life Line, oder Open Arms. Die EU kümmert sich unterdessen um die Aufrüstung der "Grenzschutzagentur" Frontex und um die Zusammenarbeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache, die Geflüchtete auf dem Meer gewaltvoll und in illegaler Weise zurückdrängen.
Die private Seenotrettung wird zusätzlich von EU-Staaten kriminalisiert und behindert: Italien weist den Schiffen mit Geretteten an Bord gezielt erst nach tagelangem Ausharren auf hoher See einen besonders weit entfernten Hafen zu, um sie möglichst lange von weiteren Rettungseinsätzen abzuhalten. Auch das deutsche Bundesverkehrsministerium plant aktuell eine Verschärfung der Schiffssicherheitsverordnung, die die zivile Seenotrettung unter deutscher Flagge im Mittelmeer massiv einschränken würde (Quelle: tagesschau.de)
In Griechenland, Italien und Malta stehen immer wieder Seenotretter:innen, aber besonders oft Geflüchtete selbst vor Gericht - weil sie ein Fluchtboot gesteuert oder anderen geholfen, sie gar vor dem Ertrinken bewahrt haben. Ihnen drohen oft jahrzehntelange Haftstrafen (Quelle: Süddeutsche Zeitung).
Europa schottet sich ab, Menschenrechte werden tausendfach mit Füßen getreten. Um das Sterben auf dem Mittelmeer zu beenden, braucht es legale und sichere Fluchtwege.
Seit 2021 werden geflüchtete Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze zum Spielball politischer Machthaber in Europa. Der belarussische Präsident Lukaschenko verkündete aus politischem Kalkül, Migrant*innen nicht mehr am Grenzübertritt über Belarus nach Polen - und damit in die EU - zu hindern. Tausende Menschen versuchten seitdem, die Grenze zu überwinden, werden jedoch vom polnischen Grenzschutz zurückgedrängt (Quelle: Pro Asyl). Polen baut sogar einen 2,5 Meter hohen Grenzzaun. Die Menschen müssen im Niemandsland zwischen den beiden Ländern ausharren, werden auf der einen Seite von belarussische Soldat*innen in Richtung Polen , auf der anderen Seite von polnische Grenzschützer*innen nach Belarus gedrängt. In den letzten 1,5 Jahren wurden nach Angaben der polnischen Grenzbeamt*innen mehr als 50.000 Pushbacks nach Belarus durchgeführt (Quelle: Seebrücke). Seit Beginn der humanitären Krise wurden mindestens 28 Todesfälle auf beiden Seiten der Grenze bestätigt, wobei die tatsächliche Zahl deutlich höher geschätzt wird (Quelle: Bericht von Grupa Granica).
Diejenigen Menschen, die es trotz allem schaffen, nach Polen zu gelangen, werden bis zum Abschluss des Asylverfahrens in Haft genommen, ganz egal, ob Erwachsene oder Kinder.
Hintergrund der menschenunwürdigen Situation ist die Präsidentschaftswahl in Belarus im Jahr 2020, nach der tausende Menschen auf die Straße zogen, um gegen die belarussische Regierung zu demonstrieren. Das gewaltsamen Vorgehen der belarussischen Regierung gegen die Demonstrant*innen veranlasste die EU, Sanktionen gegen Belarus zu verhängen. Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko "bot" daraufhin geflüchteten Menschen an, über Belarus nach Polen einzureisen - und führte die Eskalation an der polnisch-belarussischen Grenze bewusst herbei, um Druck auf die Migrationspolitik der EU auszuüben (Quelle: Deutschlandfunk).
Wir dürfen nicht wegsehen bei dem, was an den EU-Außengrenzen geschieht! Kein Mensch ist illegal. Wenn Geflüchtete als vermeintliche "Waffe" instrumentalisiert werden, liegt es an der EU, dieses perfide Spiel nicht mitzuspielen, sondern sie zu entkriminalisieren und ihnen den Zugang zu ihrem Recht auf Asyl zu gewähren. Kein Pushback ist legal!
Wer macht was dagegen? Das No Borders Team ist ein Kollektiv, das an der polnisch-belarussischen und polnisch-ukrainischen Grenze aktiv ist. Es dokumentiert die dortige Gewalt gegen Menschen auf der Flucht und in Abschiebegefängnissen und unterstützt schutzsuchende Menschen . Selbstorganisiert leisten Aktivist:innen dort erste Hilfe, bringen Menschen Nahrung und trockene Kleidung, vermitteln Inhaftierten in den Abschiebegefängnissen Übersetzer:innen und Anwält:innen, unterstützen sie im Asylverfahren und organisieren Solidaritätskundgebungen für die protestierenden und hungerstreikenden Inhaftierten.
Die Grenze zwischen Polen und Belarus ist kein Einzelfall. An den Grenzen auf der sogenannten "Balkanroute" (Wegstrecke von der Türkei nach Westeuropa) werden die ständig stattfindenden Pushbacks von Organisationen wie dem Border Violence Monitoring Netzwerk (BVMN) dokumentiert.
Mit der Balkanbrücke hat sich ein Zusammenschluss aus Aktivist*innen gegründet, die auf die Situation von People on the Move entlang der sogenannten „Balkanroute“ aufmerksam machen.
Im September 2020 zerstörte ein Brand das Flüchtlingslager Moria. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich 12.000 Menschen in dem Lager. 12.000 Menschen, die nach dem Brand wochenlang keine Unterkunft und keinen Zugang zur Grundversorgung hatten (Quelle: Amnesty International). Nach Wochen wurden die Menschen in einem neueingerichteten provisorischen Camp untergebracht: Camp Mavrovouni. Es befindet sich direkt an der Küste Lesbos, und setzt die die dort untergebrachten Menschen damit Wetter und Witterung ungeschützt aus. Der Zugang zum Camp ist für NGOs und Helfer*innen restriktiv festgelegt, zudem gibt es Ausgangsverbote und Beschränkungen für die Menschen, die im Camp leben müssen. Sie werden sowohl von Kontakt nach außen als auch von sozialen, medizinischen und rechtlichen Beratungsmöglichkeiten abgeschottet.
Das Camp Mavrovouni auf Lesbos steht stellvertretend für viele weitere Lager an den EU-Außengrenzen. Die dort untergebrachten Menschen müssen Monate, manchmal Jahre auf den Beginn und Abschluss ihres Asylverfahrens warten. Während dieser Zeit dürfen sie die Insel nicht verlassen. Sie haben keine Möglichkeit, diesen unmenschlichen, gefährlichen und traumatischen Lebensbedingungen zu entkommen.
Die menschenunwürdigen Zustände in den Lagern sind gewollt und ein bewusstes Element der europäischen Abschottungs- und Abschreckungspolitik. Es handelt sich nicht um eine „humanitäre Katastrophe“, sondern um die Folgen gewollter politischer Entscheidungen. Inzwischen gibt es sogar Gerichtsurteile, die bestätigen, dass die Bedingungen in den Lagern gegen Menschenrechte verstoßen (Quelle: Institute for International Law of Peace and Armed Conflict, IFHV)
In den kommenden Monaten dieses Jahres 2023 soll auf Lesbos das neue Lager Vastria (ein sogenanntes Closed Control Access Centre) eröffnet werden. Es liegt 40 Kilometer enttfernt von der Inselhauptstadt Mytilene, inmitten eines Waldes, in der Nähe einer Mülldeponie und wird von Stacheldrahtzäunen und Betonmauern umgeben sowie rund um die Uhr überwacht sein.
Wir fordern die Abschaffung dieser Lager, um den Menschen, die bereits auf der Flucht vor Krieg und unmenschlichen Zuständen ihr eigenes Leben riskieren, eine echte Perspektive und einen würdigen Neuanfang zu ermöglichen!
Dafür organisieren auch auf Lesbos Menschen auf verschiedenen Wegen solidarische Projekte und Alternativen:
Now You See Me Moria, ein aktivistisches Gemeinschaftsprojekt und Kollektiv, dokumentiert mit Fotografien die Lebenssituation im Lager und wendet sich mit verschiedenen Aktionen an die Öffentlichkeit:
Das Legal Centre Lesvos unterstützt seit August 2016 Migrant:innen, die auf dem Seeweg nach Lesbos gekommen sind, kostenlos und individuell mit rechtlichen Informationen und Beratung.
Als politisches Statement gegen die übliche Inhaftierung von Geflüchteten in Lagern baute ein Solidaritätsnetzwerk ab 2012 das Camp "Pikpa" auf Lesbos auf - ein offenes Camp für Geflüchtete. Menschen bekamen dort, auch in Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung, medizinische und praktische Unterstützung, Essen und Bildung wurde auch Menschen außerhalb des Camps zugänglich gemacht. Familien wurden nach dem Verlust ihrer Angehörigen bei Schiffsunglücken mit Beerdigungen und Identifizierungsprozess. Im Oktober 2020 wurde Pikpa nach 8 Jahren von den griechischen Behörden geräumt. Aus der Organisierung ging die NGO Lesvos Solidarity hervor.
Flüchtlingslager existieren nicht nur tausende Kilometer weit weg in Griechenland oder Nordafrika. In Thüringen sind viele Geflüchtete in Lagern untergebracht. Eines der größten ist die Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl in Südthüringen. Obwohl es nur als Durchgangslager gedacht ist, leben hunderte Menschen dort über Monate unter extrem schlechten Bedingungen. Abgelaufene Lebensmittel, kaum oder keine ärztliche Versorgung, fehlende Privatsphäre, Isolation und Schikanen durch Security gehören zum Alltag. Viele geflüchtete Menschen müssen auf engstem Raum zusammenleben. Die Verantwortlichen vor Ort scheinen chronisch unterbesetzt und überfordert, politisch Verantwortliche nicht (genug) an einer Verbesserung der Zustände interessiert zu sein.
Das Security-Personal fällt immer wieder durch Übergriffe, rassistische Äußerungen und Beleidigungen bis hin zu körperlichen Angriffen auf. Ein rechtsextremer Security-Mitarbeiter, der Ende 2021 Bewohner*innen rassistisch beleidigte und bedrohte, saß eine kurze "Auszeit" sowie eine Schulung ab und arbeitet nun wieder in der Erstaufnahmeeinrichtung (Quelle: mdr). Diese gewaltvolle Umgebung hat verheerende psychische Folgen für die von der Flucht traumatisierten Menschen. All das findet in einem bedrohlichen Gesamtklima statt: 2022 gab es laut Bundesinnenministerium 121 Angriffe gegen Geflüchtetenunterkünfte in Deutschland, deutlich mehr als in den Vorjahren (Quelle: Tagesschau).
Bereits 2015 mahnt der Flüchtlingsrat Thüringen die Zustände im Erstaufnahmelager in Suhl an (Pressemitteilung vom 10. November 2015).
Im Theaterprojekt des Flüchtlingsrates Thüringen arbeiten ehemalige Bewohner:innen den rassistischen Alltag in Suhl und anderen Thüringer Unterkünften auf. Dabei entstand 2022 die Performance "Im Eisernen Herzen Thüringens - Innenansichten aus Suhl" (Video der Performance auf Vimeo.com).
Das Netzwerk Lager-Watch Thüringen hat sich gegründet, um die Zustände in Suhl und anderen Lagern zu dokumentieren und dagegen aktiv zu werden.
Die Suhler Lagerzustände sind nicht außergewöhnlich und nicht neu für Thüringen. Sie herrschten viele Jahre auch in der "Zentralen Aufnahmestelle" (ZAST) Tambach-Dietharz. Im September 1991 wurde auch hier ein Brandanschlag von Neonazis verübt - beispielhaft für die rassistische Gewalt der 1990er Jahre. Nach anhaltenden Protesten der Geflüchteten gegen ihre Isolierung wurde das Lager Tambach-Dietharz im Jahr 2003 geschlossen, die untergebrachten Menschen auf andere Unterkünfte verteilt. Einen Ausschnitt des selbstorganisierten Widerstands dokumentiert der Film "Das Boot ist voll und ganz gegen Rassismus" (ab Minute 20:20 geht es um Tambach-Dietharz), in dem die Tour der "Karawane" im Jahr 1998 begleitet wird. 2022 hat das Projekt „Leben hinter Stacheldraht“ Teile der Geschichte des Lagers in Tambach-Dietharz aufgearbeitet und dokumentiert um diese auf einer Website sichtbarer zu machen.
Wir fordern: Lager abschaffen! Dezentrale Unterbringung und ein selbstbestimmtes und würdiges Wohnen für alle ermöglichen!
Laut dem Bericht der Abschiebungsbeobachtung Frankfurt am Main schob die Bundesregierung im Jahr 2021 11.982 Menschen aus Deutschland ab, darunter 1.915 Minderjährige. 10.349 Menschen wurden auf dem Luftweg abgeschoben, die meisten von ihnen (3.371) vom Flughafen Frankfurt am Main. Offiziell verwendete die Bundespolizei in Frankfurt gegen 716 Menschen "Hilfsmittel der körperlichen Gewalt".
Von den insgesamt abgeschobenen Menschen wurden 2.656 Menschen aufgrund der Dublin-Verordnung ausgewiesen (Quelle: Tätigkeitsbericht der Abschiebebeobachtung Frankfurt am Main, Caritasverband). Das sind beispielsweise Abschiebungen nach Polen, wo die Menschen bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens in Haft genommen werden - egal ob Erwachsene oder Kinder.
Von den Abschiebeflügen profitieren die Lufthansa und weitere Unternehmen (Quelle: No Border Assembly).
Die Abschiebungen finden in Herkunftsländer statt, die die Menschen aus verschiedenen Gründen, wie Krieg oder Verfolgung, verlassen haben. Zum Beispiel wurde im März 2023 eine Frau trotz des aktuell verhängten Abschiebestopps in den Iran vom Frankfurter Flughafen in den Iran "zurückgewiesen" und von dort weiter nach Afghanistan abgeschoben (Quelle: Hessischer Flüchtlingsrat).
Das Land Thüringen schob im Jahr 2022 insgesamt 238 Menschen ab (Quelle: Die Zeit). Wir fordern: Stop Deportation!
Wer macht was dagegen? Das Projekt Deportation Alarm informiert über anstehende Abschiebeflüge.
Der Brandenburger Landtag beschloss Ende 2022 die Finanzierung des geplanten Abschiebezentrums am Flughafen BER. Mehr als 80 Organisationen positionieren sich öffentlich gegen die Errichtung und Inbetriebnahme des sogenannten "Ein- und Ausreisezentrums", zu dem auch 120 Haftplätze für Menschen, die abgeschoben werden sollen, gehörden (Stellungnahme: Flüchtlingsrat Brandenburg). Die Initiative Abschiebezentrum BER verhindern stellt sich weiter dagegen: "Unser Kampf geht weiter, solange bis das Abschiebezentrum BER verhindert wurde!" Vom 1. bis 6. Juni 2023 organisiert die Initiative ein Stop Deportation! Protestcamp in Schönefeld.
In Erfurt leben über 21.000 Austauschstudierende, Migrant:innen, Geflüchtete oder emigrierte Fachkräfte. Eine Behörde entscheidet über ihr tägliches Leben: die Ausländerbehörde.
In der Erfurter Behörde herrschen zahlreiche Missstände, die seit Jahren bekannt sind. Bereits 2019 wiesen Betroffene und Unterstützer:innen mit einem offenen Brief [1] und Protesten auf der Straße auf die Diskriminierung, Willkür, Ignoranz und Angstmache hin, die sie durch die Ausländerbehörde erfahren: Wichtige Ausweisdokumente oder Aufenthaltstitel werden teils über Monate bis Jahre nicht ausgestellt. Das Ersatzpapier, das Menschen übergangsweise von der Behörde erhalten, wird von anderen Institutionen oft nicht anerkannt. Ein großes Problem, denn in der Regel gilt: ohne gültige (und anerkannte) Papiere keine Wohnung, kein Konto, kein Arbeitsvertrag, bedrohliche Erfahrungen in Polizeikontrollen - ausgelöst durch die Zettelwirtschaft der Ausländerbehörde. Diese war schon lange schlecht für Menschen mit Anliegen erreichbar, während der Coronapandemie zeitweise gar nicht. Wiederholt berichten Menschen von ignorantem oder sogar rassistischem Verhalten durch Mitarbeiter*innen.
Zur Aufgabe der Ausländerbehörde gehören auch Abschiebungen. Das heißt: Menschen werden gewaltvoll aus ihrem sozialen Umfeld gerissen, von ihren Familien getrennt und an Orte gebracht, die sie aus unterschiedlichen Gründen verlassen haben. Diese Gewalt ist grundsätzlich abzulehnen.
2022 hat die Initiative "Wir sind Menschen, keine Akten" den Kampf gegen die Missstände in Erfurt erneut aufgenommen.
Das Netzwerk Soli-Asyl Thüringen unterstützt Menschen, die in Thüringen von Abschiebung bedroht sind.
Die Situation in Erfurt ist kein Einzelfall: Ausländerbehörden in ganz Deutschland sind Ausdruck von strukturellem Rassismus. Die Tragweite des Problems "Ausländerbehörde" zeigt z. B. die ZDF Magazin Royale Folge vom 9. Dezember 2022. Wir fordern: Stop making fear !
[1] * Verfasser*innen des Briefes war der Migranten Omid Verein Erfurt e.V. mit Unterstützung vom Flüchtlingsrat Thüringen e.V., dem Sprachcafé Erfurt, der Refugee Law Clinic Jena e.V., dem Büro für ausländische MitbürgerInnen, dem Institut für Berufsbildung und Sozialmanagement und dem Caritasverband des Bistums Erfurt e.V. Mehr Infos in der Pressemitteilung des Thüringer Flüchtlingsrats.
Anfang Mai 2023 hat die Erfurter Ordnungsbehörde zwei unserer Wegweiser entwendet - wir haben sie uns zurückgeholt und lassen das nicht kommentarlos stehen.
20.05.2023
Viele haben es sicher mitbekommen: Aus dem Zurückholen unserer einkassierten Wegweiser haben wir kurzerhand eine Demo gemacht, mit der wir am Dienstag gemeinsam vom Bürgeramt aus durch Erfurt gezogen sind und gegen die vielen Facetten tödlicher Abschottungspolitik protestiert haben.
Anfang Mai hat das Erfurter Ordnungsamt zwei unserer orangenen Wegweiser entfernt und "sichergestellt" - einen beim Café Hilgenfeld am Domplatz und einen an der Franz Mehlhose. Am Café Nomad sind wir dem zum Glück zuvorgekommen. Die Wegweiser stehen seit Mitte April an Cafés und Kulturorten in Erfurt.
Die Räumung der Kunstinstallationen hat die Stadtverwaltung mit fehlenden Sondernutzungsgenehmigungen begründet. Darum wurden nun Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen „unerlaubter Sondernutzung“ gegen uns eingeleitet. Die Stadt möchte auch, dass wir „den Abtransport und die Verwahrung“ der Wegweiser bezahlen. Also: Kilometerpauschale für den Transporter, Arbeitszeit der schwer tragenden Ordnungskräfte und die mehrtägige Unterstellung im Keller vom Bürgeramt.
So weit, so nervig. Doch was wir sehr viel spannender finden: Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung sagten uns mehrfach, dass sich auf den Wegweisern vermeintlich illegitime Inhalte befinden würden, die dort nicht stehen dürften. Als Beispiel nannten sie unsere Kritik an der Erfurter Ausländerbehörde, die angeblich nicht zutreffen würde. Wer genau da entschieden hat, dass es in der Ausländerbehörde gar keine Probleme mit Diskriminierung und Willkür gibt, wissen wir leider nicht.
Sollte unsere Kritik an einer städtischen Behörde mit ein Grund für den – unserer Meinung nach recht drastischen – Umgang mit den Wegweisern sein, fänden wir das ganz schön problematisch. Wir kümmern uns um die Aufklärung des Ganzen. Unser Ziel ist, dass die Wegweiser bald wieder draußen und gut sichtbar stehen können!
Ein Weg dahin kann sein, diese geforderten Sondernutzungsgenehmigungen zu beantragen, sodass die Wegweiser ganz bürokratisch legalisiert und nicht mehr der Ordnung zuwider stehen. Wir werden sehen, ob das Erfolg hat. Aus der Stadtverwaltung wurde uns angedeutet, dass die Bearbeitung eines solchen Antrags wohl gut zwei Monate dauern würde - und dass eine Genehmigung für die Wegweiser aus "stadtbildpflegerischen Gründen" grundsätzlich sehr unwahrscheinlich sei. Als Grund dafür wurde uns unter anderem die Farbe Orange genannt. Das kam uns schon etwas komisch vor.
Vielleicht nicht verkehrt, das rechtlich zu prüfen – denn so sicher ist sich die Ordnungsbehörde ihrer Sache offenbar nicht: Kurzzeitig wurden wir in aller Deutlichkeit aufgefordert, auch den Wegweiser an der Frau Korte innerhalb eines Tages zu räumen, bevor sie es tun – bis die Behörde gemerkt hat, dass er doch auf Privatgelände steht.
Wir werden sehen, ob die Stadt Erfurt gewillt ist, den Wegweisern im öffentlichen Raum Platz zu machen. Wenn nicht, machen wir uns eben auf die Suche nach Orten, an denen sie willkommen sind.
Nun stehen die drei befreiten und geretteten Wegweiser stehen erstmal im Charlotte-Eisenblätter-Haus der Naturfreundejugend und Naturfreunde Thüringen in der Johannesstraße. Dort können sie zur Öffnungszeit gerne besucht werden. Auch an der Frau Korte, am Café Hilgenfeld auf dem Campus der Universität Erfurt, an der KreativTankstelle und am Zughafen Kulturbahnhof stehen unsere übrigen Wegweiser weiterhin. Wir freuen uns, dass auch vor dem Jugendhaus Domizil für kurze Zeit ein Wegweiser stehen konnte.
Die Wegweiser sind kein Selbstzweck. Mit ihnen und mit unserem Protest auf der Straße wollen wir auf Orte der Abschottung hinweisen und unsere Forderungen laut und deutlich machen: für eine menschenwürdige Migrationspolitik statt weitere Verschärfungen des tödlichen europäischen Grenz- und Abschieberegimes!
Bundesregierung und Innenministerium haben sich gerade auf ihre gemeinsame Position für die zukünftige EU-Asylpolitik geeinigt: Schutzsuchende Menschen sollen bereits an den europäischen Außengrenzen abgefangen und bis zu einer Prüfung des Asylgrundes inhaftiert werden. Sollte das auf EU-Ebene besiegelt werden, droht die Abschaffung des Grundrechtes auf Asyl — oder zumindest von dem, was davon noch übrig ist.
Wir haben darüber mit Radio F.R.E.I. gesprochen: Interview mit Lukas und Nina von der Seebrücke Erfurt, 18.05.2023
Erfurt zum sicheren Hafen!:Ist Erfurt sicherer Hafen?
Um die Frage zu beantworten, müssen wir weiter ausholen:
Am 17.10.2018 beschloss der Erfurter Stadtrat die Empfehlung an Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) einen offenen Brief der Thüringer Migrationsbeauftragten an die Bundeskanzlerin zu unterzeichnen, welcher "deutsches Engagement bei der staatlichen und privaten Seenotrettung" forderte. Der Oberbürgermeister weigerte sich jedoch zu unterzeichnen - trotz eindeutiger Beschlusslage und eher symbolischem Wert des Briefs. Eine Farce.
Im Jahr 2020 forderten wir deshalb erneut "Erfurt zum Sicheren Hafen!". Begleitet von einer Kampagne #OpenErfurt richteten wir einen offenen Brief an die Erfurter Stadrät*innen und Oberbürgermeister mit der Forderung, Erfurt zum sicheren Hafen zu machen. Über 600 Bürger*innen und über 50 lokale Vereine, Kultureinrichtungen und Organisationen aus Erfurter und Thüringer Zivilbevölkerung unterzeichneten den offenen Brief. Wir steckten viel Arbeit in die Planung und Entwurf eines Stadtratantrags mit solidarischen Stadträt*innen.
Am 27.05.2020 entschied der Erfurter Stadtrat über den Antrag und erklärte schließlich Erfurt zum sicheren Hafen. Im Anschluss haben wir uns ausführlich geäußert:
Statement vom 04.06.2020
Seit nun einer Woche kann sich Erfurt als einer der 154 Sicheren Häfen in Deutschland bezeichnen! Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung und ein Grund zu feiern - zumindest kurz. Für uns ist vor allem wichtig, was darauf jetzt folgt. Hinter uns liegt ein langes Hin und Her aus Ausschüssen, Einreichungen, Stellungnahmen, Verhandlungen und eine lange Suche nach Kompromissen. Der am Mittwoch, den 27.05., gefällte Beschluss ist ein Grund zum Aufatmen. Doch wir bleiben weiter dran: Mit neuem Tatendrang und vor allem kritischem Blick werden wir die praktische Umsetzung der beschlossenen Punkte verfolgen und daran anknüpfend weitere Schritte einfordern! Unsere Arbeit hier ist noch lange nicht getan.
Wir wollen transparent machen, was da eigentlich abging - und was nicht. Auf welchen Kompromiss konnten sich immerhin fünf Fraktionen (SPD, Die Linke, Bündnis 90/DIE GRÜNEN, Freie Wähler/PIRATEN, Mehrwertstadt Erfurt) einigen? Und auf was nicht?
Was wurde beschlossen?
Beschlossen wurde
dass die Stadt Erfurt sich offiziell solidarisiert mit Geflüchteten und Menschen, die sich auf der Flucht befinden.
dass sie sich mit den Zielen der Potsdamer Erklärung solidarisiert und sich außerdem als Unterstützerin eines Thüringer Landesaufnahmeprogramms erklärt. (Ein solches wurde diese Woche für Menschen aus den griechischen Lagern beschlossen.)
dass die Stadtverwaltung beauftragt wird, ein Maßnahmenkonzept für das bereits seit Jahren bestehende Integrationskonzept (1) zu erarbeiten. Dabei sollen der Ausländerbeirat und weitere Akteur*innen der Migrationsarbeit einbezogen und Rücksicht auf mehrere Maßnahmenvorschläge genommen werden. Diese drehen sich vorrangig um aktive Schritte zur Verbesserung der Situation für Geflüchtete und Migrant*innen in der Erfurter Ausländerbehörde. (2) Diese Forderungen hatten wir ursprünglich als feste Beschlusspunkte erarbeitet, sie sind nun zu "Maßnahmenvorschlägen" geworden. Wir hoffen, dass sie tatsächlich ihre Umsetzung finden werden. (3)
Der Vergleich zu dem ursprünglichen Antrag "Erfurt zum sicheren Hafen machen!", den die Stadtratsfraktionen von DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Mehrwertstadt gemeinsam mit uns erarbeitet hatten, wirft jedoch ein etwas differenzierteres - womöglich ernüchterndes - Licht darauf. Wir blicken zurück: Über Monate hinweg haben wir aktiv unsere Forderungen in die Erarbeitung dieses Antrags eingebracht. Neben den "üblichen" SEEBRÜCKE-Forderungen, die sich auf das Massensterben auf dem Mittelmeer richten, war nicht wegzuwischen: Die Stadt Erfurt hat auch Missstände zu bewältigen, die die Situation von bereits angekommenen geflüchteten Menschen hier vor Ort betreffen. In Austausch mit dem Flüchtlingsrat Thüringen und mit Menschen, die eigene Erfahrungen mit der Erfurter Ausländerbehörde gemacht haben, kam so einiges zusammen. Schließlich wurden aus einem Antrag zwei - einer mit Forderungen im überregionalen SEEBRÜCKE-Kontext (4) und einer mit Maßnahmen vor Ort für sicheres Ankommen UND Bleiben für Refugees (5). Denn das ist die Bedeutung eines konsequenten sicheren Hafens. Nicht ohne Grund gingen mehrere hundert Geflüchtete und Migrant*innen letztes Jahr in Erfurt gegen Behördenwillkür und rassistische Diskriminierung auf die Straße. (6) Zu behaupten, dass Erfurt "schon längst ein sicherer Hafen ist", wie die SPD es des Öfteren formulierte, halten wir für naiv und falsch.
Was wurde nicht beschlossen?
Im Laufe der Auseinandersetzung mit weiteren Fraktionen fielen schließlich also mehrere Forderungen herunter - durch unterschiedliche Vorstellungen von Wichtigkeiten, Zuständigkeiten und Realisierbarkeit und durch den Versuch gemeinsam umsetzbare Kompromisse zu finden. Also kurz und schmerzvoll: Nicht beschlossen wurde
die Unterzeichnung der Potsdamer Erklärung und damit der Beitritt zum Städte-Bündnis sicherer Häfen zur Vernetzung mit anderen Städten
die aktive Unterstützung von Seenotrettung
eine Aufnahmebereitschaft über den Verteilungsschlüssel hinaus und
eine Solidaritätserklärung mit den Zielen der Seebrücke!
ein Appell der Stadt Erfurt an den Bund, sich auf europäischer Ebene für eine Unterstützung von europäischen Kommunen und Regionen bei der Aufnahme und Integration von Geflüchteten einzusetzen.
Weh tut nach wie vor die nüchterne Erkenntnis, dass eine klare Positionierung gegen Abschiebungen - die immer und überall, egal von wem, egal in welches Land abzulehnen sind - keinen Platz in einem Erfurter Stadtratsantrag hat, wenn für diesen eine Mehrheit gefunden werden will. #StopDeportation
Erreicht haben wir also nicht alle Forderungen - doch auch viel mehr als nichts. Wir danken allen Mitgliedern des Stadtrates, die nun für den Antrag, für einen sicheren Hafen Erfurt in dieser Form gestimmt haben. Sie/Ihr haben/habt damit das Richtige getan - und wenn der Antrag mit Leben gefüllt wird, dann ist Ihre/eure Entscheidung ein konkreter Schritt hin zu einem solidarischeren Europa und einem solidarischeren Erfurt!
Zum Schluss wollen wir uns bei allen Unterstützer*innen, die mit uns gekämpft haben und uns hoffentlich an unserer Seite erhalten bleiben, ein ganz großes Dankeschön aussprechen! Über 50 erstunterzeichnende Vereine, Kultureinrichtungen und Organisationen aus der Erfurter und Thüringer Zivilgesellschaft und über 600 Einzelpersonen haben sich hinter unseren offenen Brief für einen sicheren Hafen und ein solidarisches Erfurt gestellt. So viele Menschen haben uns in unserem Aktionsmonat und bei unserer Social Media Kampagne #OpenErfurt begleitet und sich mit uns, mit Seenotretter*innen und mit Menschen auf der Flucht solidarisiert. Danke!
Für die Umsetzung der Beschlusspunkte und auch für unsere nicht erfüllten Forderungen lohnt es sich weiter zu kämpfen! Bleibt dabei und aktiv, geht weiter mit uns auf die Straße. Erinnert die Abgeordneten an ihre Versprechen und ihre humanitäre Verantwortung. Seid im Alltag solidarisch. Dies ist erst der Anfang eines Prozesses hin zu einem tatsächlichen sicheren Hafen Erfurt. Und wir kämpfen weiter für legale und sichere Fluchtwege, für Bewegungsfreiheit für alle.
Wir sind noch lange nicht fertig!
Eure Seebrücke Erfurt
(1) Integrationskonzept der Landeshauptstadt Erfurt
(2) Dazu gehören Maßnahmen wie: Bildungsangebote für Behörden-Mitarbeiter*innen zur Sensibilisierung für Lebensumstände von geflüchteten Menschen und gegen Rassismus, die konsequente Ausstellung von elektronischen Aufenthaltstiteln, der Abbau von Zugangsbarrieren für Geflüchtete und Migrant*innen, konsequent mehrsprachig verfügbare Formulare und die schnellstmögliche Besetzung offener Stellen, um lange Wartezeiten auf dringende Behördentermine zu verringern.
(3) Änderungsantrag "Erfurt - Sicherer Hafen" (SPD, LINKE, GRÜNE, Mehrwertstadt, Freie Wähler/Piraten
(4) Antrag "Erfurt zum sicheren Hafen machen - Maßnahmen im überregionalen Kontext" (GRÜNE, LINKE, Mehrwertstadt)
(5) Antrag "Erfurt zum sicheren Hafen machen - Maßnahmen vor Ort" (GRÜNE, LINKE, Mehrwertstadt)
(6) Flüchtlingsrat Thüringen: Eindrücke von der Demo gegen Behördenwillkür am 26.2.19