Im Wahlkampf und in ihrer Koalitionsvereinbarung haben die Ampel-Parteien ein humanitäres Aufnahmeprogramm für Menschen aus Afghanistan versprochen. Bisher warten wir aber weiterhin darauf, dass dieses auch endlich umgesetzt wird. Die Aufnahme von 25.000 Menschen, die Deutschland bisher zugesagt hat, bezieht sich nur auf Menschen, die bereits eine Aufnahmezusage erhalten haben. Doch es befinden sich weiterhin zahlreiche Menschen in Afghanistan, die um ihr Leben fürchten müssen und bisher keine Aufnahmezusage erhalten haben: Ortskräfte, Beschäftigte von deutschen Unternehmen und Subunternehmen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, LGBTQIA*-Personen, Journalist*innen und weitere Menschen. 

Deutschland hat nicht nur eine moralische, sondern auch eine rechtliche Verpflichtung. Denn deutsche Entscheidungsträger*innen sind auch außerhalb von Deutschland und gegenüber anderen Staatsangehörigen an die Einhaltung der Grundrechte gebunden. Weil Deutschland in Afghanistan in den letzten 20 Jahren Hoheitsgewalt ausgübt hat, besteht auch eine Verpflichtung zur Achtung der Grundrechte, der Europäische Menschenrechtskonvention und des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte gegenüber afghanischen Menschen (vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte: Grund- und menschenrechtliche Verantwortung nach dem Abzug aus Afghanistan. Zu den Schutzpflichten Deutschlands für besonders schutzbedürftige Afghan*innen, 01/2022). Die Bundesrepublik darf sich nicht länger aus der Verantwortung stehlen!

Deshalb muss die Ampel-Koalition jetzt schnell ihr Versprechen umsetzen und ein umfassendes humanitäres Aufnahmeprogramm umsetzen. Die Aufnahmen dürfen nicht mit den bereits zugesagten Resettlement-Plätzen verrechnet werden, die bereits jetzt schon beschämend niedrig sind. Das Resettlement-Programm um ein humanitäres Aufnahmeprogramm zu erweitern, ist zudem ein wichtiges Zeichen für die Nachbarländer. Deutschland muss mit diesen verhandeln, damit sie gefährdete Menschen einreisen lassen um von dort aus nach Deutschland weiterzureisen.

Deutschland sollte zudem daran arbeiten, Direktflüge aus Kabul zu ermöglichen. Die Visa-Vergabe, sowie die für die Einreise notwendige Sicherheitsprüfung sollte für Menschen, die eine Aufnahmezusage erhalten haben, bei Ankunft in Deutschland durchgeführt werden, um die Evakuierungen nicht weiter zu verschleppen.

Schon am 31.08.2021, als nach dem Fall Kabuls und den chaotischen Evakuierungen der internationalen Kräfte die Lage sehr unübersichtlich war, wurde die sogenannte Menschenrechtsliste geschlossen. Über diese Liste konnten besonders gefährdete Menschen, die keinen Status als Ortskraft hatten, eine Aufnahmezusage erhalten. Doch nicht nur waren die Kriterien, welche Personen auf die Liste aufgenommen wurden, intransparent, es war auch lange Zeit gar nicht sicher, wo sie sich den melden sollten. Verschiedene E-Mail-Adressen zirkulierten und Aussagen, wer berechtigt war, über diese eine Aufnahmezusage zu erhalten. Wer dem Auswärtigen Amt eine E-Mail schrieb erhielt bestenfalls eine automatisierte Empfangsbestätigung, oft sogar keine Rückmeldung. Die Schließung der Menschenrechtsliste Ende August war vollkommen willkürlich und kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich weiterhin viele gefährdete Menschen in Afghanistan befinden. Deshalb muss die Menschenrechtsliste wieder eröffnet und transparent kommuniziert werden, an welche Stellen sich gefährdete Menschen wenden können. Die Anträge müssen zügig bearbeitet werden und bei der Einschätzung von Gefährdung muss eine intersektionale Perspektive mit Hinblick auf Mehrfachbetroffenheit berücksichtigt werden. Die bereits eingegangen Anträge müssen endlich zügig bearbeitet werden.

Gemäß § 23 Absatz 1 AufenthG können Bundesländer aus humanitären oder völkerrechtlichen Gründen oder zur Wahrung der politischen Interessens Deutschlands, im Einvernehmen mit dem Bundesinnenminsiterium ein Landesaufnahmeprogramm umsetzen. Unter alten Regierung von CDU/CSU und SPD blockierte das Bundesinnenministerium jedoch die Bemühungen der Bundesländer. So wurde beispielweise das beschlossene Landesaufnahmeprogramm Thüringens abgelehnt. Die neue Bundesregierung darf die Aufnahmebereitschaft der Bundesländer nicht weiterhin blockieren, sondern sollte sie schnell genehmigen, unterstützen und fördern.

Wir fordern die Bundesländer auf Landesaufnahmeprogramme zu beschließen und dem Bundesinnenministerium zur Zustimmung vorzulegen. Diese sollten nicht auf Verpflichtungsermächtigungen beruhen. Denn die Chance in Sicherheit zu gelangen, sollte nicht daran hängen, ob gefährdete Menschen Verwandte oder Freund*innen in Deutschland haben, die sich verpflichten können, für ihren Lebensunterhalt aufzukommen, sondern für alle zugänglich sein. Landesaufnahmeprogramme sollten neben besonders gefährdeten Menschen auch Menschen berücksichtigen, die familiäre Bindungen nach Deutschland haben, aber beim Familiennachzug nicht berücksichtigt werden. So z.B. Verwandte von Afghan*innen, die bisher mit Duldung in Deutschland leben.

Noch immer warten zahlreiche Menschen in Deutschland darauf, ihre Familienangehörigen wiederzusehen. Der Familiennachzug muss daher deutlich beschleunigt werden. 

Aktuell können Anträge auf Familiennachzug nur in den deutschen Botschaften in Islamabad und Neu Dehli und bei Begründung der Notwendigkeit auch in anderen deutschen Auslandsvertretungen gestellt werden. Es sollte eine Globalzuständigkeit der Botschaften erklärt werden, damit die deutschen Vertretungen auch dann für die Anträge afghanischer Menschen zuständig sind, wenn diese keinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem Land haben. Das Personal in den deutschen Botschaften und Konsulaten muss aufgestockt werden, um die Bearbeitung von Anträgen auf Familiennachzug und die Erteilung von Visa zu beschleunigen. 

Die Stellung des Antrags muss zudem auch ohne persönliche Vorsprache per Fax oder Mail möglich sein. Auch sollten auch die in Deutschland lebenden Angehörigen Anträge auf Familiennachzug beim Auswärtigen Amt stellen können. 

Bürokratische Hindernisse für den Familiennachzug müssen abgebaut werden. Es ist zu begrüßen, dass die Pflicht Deutschkenntnisse mit einem Zertifikat des Goethe-Instituts glaubhaft zu machen, abgeschwächt wurde, doch der Nachweis von Deutschkenntnissen sollte gar kein Hindernis mehr für den Familiennachzug darstellen. 

Die Definition der Kernfamilie muss dringend ausgeweitet werden.  Ob ein Kind 17 oder 18 Jahre alt ist darf nicht den Unterschied machen, ob es mit seinen Eltern vereint wird. Erwachsene Menschen sollte nicht gezwungen werden, ihre pflegebedürftigen Eltern oder gefährdete Angehörige zurückzulassen, weil sie nur berechtigt sind ihre*n Ehepartner*in und sonst keine volljährigen Personen im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland zu holen. Die enge Definition der Kernfamilie ist inhuman und muss schleunigst angepasst werden!

Die Asylanträge von Afghan*innen müssen zügiger bearbeitet werden und positiv beschieden werden, da ohne Asyl aktuell kein Familiennachzug möglich ist. Bereits in Deutschland lebende oder nach Deutschland kommende Afghan*innen müssen schnellstmöglich einen sicheren Aufenthaltsstatus und Perspektiven erhalten.

Die Taliban sind eine terroristische Vereinigung und einige der Regierungsangehörigen stehen auf internationalen Terroristenlisten. Die Nicht-Anerkennung ist der einzige Hebel um die Taliban unter Druck zu setzen Menschenrechte (und vor allem Frauenrechte) einzuhalten. Wenn sie anerkennt werden, erhalten Repräsentanten der Regierung Immunität und Vorrechte. Die Regierung stellt sich nach außen zwar gemäßigt dar, aber ist es nicht. Sind für mind. 100 Tötungen von Ortskräften oder Ehemalige der Armee verantwortlich nach der UNO.

Nicht-Einhaltung von Frauenrechten (Proteste werden unterdrückt und zerschlagen, Aktivistinnen verfolgt, in der Regierung ist z.b. auch keine einzige Frau, Mädchen dürfen noch nicht wieder zur Schule gehen. Eine Anerkennung wäre ein enormer Prestigegewinn und würde die Taliban in ihrem Handeln bestärken.