15.07.2021 · Pressemitteilung:Solidarität mit den Sans-Papiers - 475 Hungerstreikende in akuter Lebensgefahr

  • Seit über 50 Tagen befinden sich 475 Sans-Papiers-Aktivist*innen im Hungerstreik

  • UN-Berichterstatter De Sutter leitet Untersuchungen wegen Menschenrechtsverletzungen ein

  • Seebrücke solidarisiert sich mit den Aktivist*innen und fordert die belgische Regierung zum Handeln auf

Durch einen Hungerstreik seit dem 23. Mai 2021, also seit 54 Tagen, schweben 475 Menschen in Belgien in Lebensgefahr. Sie fordern die sofortige Regularisierung aller Protestierenden und eine Reform des belgischen Migrationsgesetzes und -prozesses. Die Aktivist*innen der "Union des Sans Papiers pour la Régularisation" (Kollektiv der Papierlosen für die Legalisierung) besetzen seit Anfang des Jahres die Béguinage-Kirche und zwei Universitäten im Zentrum von Brüssel. 

Der gesundheitliche Zustand der Protestierenden hat sich dramatisch verschlechtert, so Ärzt*innen. Der UN-Berichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte De Sutter überprüft nun, ob Belgien Menschenrechte verletzt. Die Ärzte in Brüssel sind alarmiert, es besteht die Gefahr von Langzeitschäden und Lebensgefahr für Streikenden. Der Hungerstreik ist eine Reaktion der undokumentierten Migrant*innen um auf die inkonsequenten und willkürlichen Legalisierungsverfahren Belgiens hinzuweisen, die dazu geführt haben, dass die meisten der Hungerstreikenden, die seit fünf bis 30 Jahren in Belgien leben und arbeiten, keinen Zugang zum formellen Arbeitsmarkt in Belgien haben und ohne einen legalen und offiziellen Arbeitsvertrag keine Chance haben, jemals eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten.

Mourad von der Union des Sans Papiers: "Viele Tage und viele Jahre haben wir um eine Legalisierung gebeten, viele Male wurden wir abgewiesen. Die Politiker weigern sich, uns zuzuhören, mit uns zu reden. Deshalb haben wir beschlossen, am 23. Mai einen Hungerstreik zu beginnen. Während der Gesundheitskrise waren die Sans-Papiers am meisten betroffen. Stellen Sie sich vor, eine Familie, die nicht die Möglichkeit hat, ihre Miete oder ihr Essen zu bezahlen. Eine Familie, die nicht die Möglichkeit hat, Milch für ihre Kinder zu kaufen. Diese Probleme trieben uns zum Hungerstreik und dazu, unser Leben in Gefahr zu bringen."

Julia Solbach von der Seebrücke: " Die Ausbeutung illegalisierter Menschen ist eine Schande für Europa. Jede*r hat ein Recht auf Zugang zu Papieren, zum Arbeitsmarkt, zu Sozialleistungen, alles, was für viele von uns selbstverständlich ist. Wir solidarisieren uns mit den betroffenen Menschen in Brüssel und fordern die belgische Regierung auf, diese Menschen sofort offiziell zu legalisieren und das Rechtsvakuum zu schließen. Die Gesundheit und das Leben der Hungerstreikenden stehen auf dem Spiel. Belgien muss sofort auf ihre Forderungen eingehen und ihren Status legalisieren. Wenn die belgische Regierung nicht handelt, macht sie sich mitschuldig am Tod der Aktivist*innen."

Talbi, einer der 475 Hungerstreikenden der Union des Sans Papiers: "Ich bin seit fünf Jahren in Belgien. Ich habe vier verschiedene Arten von Führerscheinen: LKW, PKW, Bus und Anhänger, seit 1991. Wenn ich zur Arbeit gehe, fragen die Chefs nach einer Arbeitserlaubnis. Da ich keine habe, muss ich legalisiert werden. Selbst wenn mich ein Chef einstellt, bekomme ich nicht mehr als 4 € die Stunde. Diese Arbeit ist unsicher, ich weiß nie, ob ich morgen noch einen Job habe. Was ich hoffe, ist auch Gleichheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit zu genießen. Mit Covid wird die Situation für alle jeden Tag schlechter. Ohne die Unterstützung meiner Familie kann ich mich nicht selbst ernähren, und ich habe keinen Platz zum Leben."

Wahiba, eine weitere Aktivistin im Hungerstreik: "Ich bin hier für Papiere. Ich will sie, damit ich legal arbeiten kann, damit die Leute aufhören, uns auszunutzen. Deshalb besetzen wir, wir demonstrieren, um Rechte zu haben, um legal hier sein zu können. Wir sind aktive Frauen, ich will legal arbeiten, ich will zur Gemeinschaft beitragen, Steuern zahlen. Wenn ich illegal arbeite, dann nur, weil ich keine andere Wahl habe, es ist der Staat, der will, dass ich illegal arbeite."

Die Seebrücke ist eine breite zivilgesellschaftliche und antirassistische Bewegung, die sich für die zivile Seenotrettung, für sichere Fluchtwege und für die dauerhafte Aufnahme von geflüchteten Menschen in Deutschland einsetzt.

Bildmaterial aus Brüssel finden sie hier.